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30. April 2021

Leitsatz 7 - Einen Schritt zurück

Nicht mehr einfach nur Wissen pauken und auswendig lernen, sondern Sachverhalte verstehen und richtig anwenden können sowie selbständiger werden, das sind die wichtigsten Errungenschaften des Lehrplans 21. Wie diese neuen Lernkompetenzen beurteilt und benotet werden, haben die Schulen Hünenberg letzten Sommer in acht Leitsätzen festgelegt. Einer davon war, dass die Erziehungsberechtigten nicht mehr jede Prüfung sofort sehen, sondern vierteljährlich einen aktuellen Stand der Beurteilungen erhalten.

Vor den Frühlingsferien hat Bildungsdirektor Stephan Schleiss uns – und andere Gemeinden – nun zurückgepfiffen: Dieses System würde den Rechten der Eltern nicht gerecht. Die Erziehungsberechtigten bräuchten alle Informationen, die für die «Erfüllung ihrer elterlichen Rechte und Pflichten» notwendig sind. Dazu gehöre es eben, dass die Prüfungen zeitnah nach Hause gegeben werden.

Als Vater von zwei schulpflichtigen Jungs bedaure ich persönlich den kantonalen Entscheid. Er ist für mich ein Rückschritt in den Bemühungen, die Schule gerechter und lebensnaher zu gestalten.

Wenn jede Prüfung nach Hause gegeben wird, übernehmen die Eltern oftmals automatisch die Verantwortung für das Lernen ihrer Kinder: Sie lösen mit ihnen die Hausaufgaben, fragen sie ab und trichtern ihnen den Stoff ein, der für die nächste Prüfung nötig sein wird. Das ist grundsätzlich nicht falsch; Unterstützung ist immer gut. Aber je nach Intensität nehmen wir so den Kindern die Möglichkeit, Eigenverantwortung zu lernen und selbständiger zu werden. Zudem bleibt die Chancengleichheit auf der Strecke, denn Kinder aus bildungsschwächeren Haushalten können nicht die gleiche Unterstützung wie andere erwarten.

Gleichzeitig ist es den Lehrpersonen kaum mehr möglich, die Schülerinnen und Schülern nach individuellem Tempo lernen, verstehen und anwenden zu lassen. Es wird ihnen die Möglichkeit verwehrt, die Lernziele individuell erreichen zu dürfen (Lernzieltaxomonie), denn jetzt sollten wieder alle zum gleichen Zeitpunkt dieselben fachlichen und überfachlichen Kompetenzen erreicht haben, um die Prüfungen zeitgleich ablegen zu können.

Als Schulpräsident finde ich es schade, dass wir das neue Verfahren nicht einmal ein Jahr ausprobieren und Erfahrungen sammeln durften. Vielleicht hätten wir rückblickend gesehen noch mehr Gewicht darauflegen müssen, unsere Überlegungen und Absichten den Erziehungsberechtigten näher zu bringen; offenbar konnten die wegen Corona ausgefallenen Informationsveranstaltungen nicht genügend kompensiert werden. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass wir die Unsicherheiten und Kritik einiger wenigen im Dialog lösen können, und nicht gleich wieder das ganze Konzept über den Haufen werfen zu müssen. Denn schlussendlich verfolgen wir alle das gleiche Ziel: das bestmögliche Schulsystem, das unsere Kinder optimal auf das Leben vorbereitet und allen dieselben Chancen zugesteht.